Die Alpenseen in der Schweiz sind ein faszinierendes Ökosystem. Die kalten, tiefen und nährstoffarmen Gewässer bieten vielen Fischarten einen Lebensraum, so zum Beispiel den Felchen. Einst gab es in Schweizer Seen 34 heimische Arten von ihnen, doch durch menschliche Einflüsse ist ein Drittel von ihnen verschwunden. Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer für die Artenvielfalt in den Alpenseen: Forscher haben 11 neue Fischarten entdeckt, die zur Gattung Coregonus gehören, davon allein 7 im letzten Jahr!
7 neue Arten von Felchen
Zu verdanken ist diese Entdeckung den Evolutionsbiologen Prof. Ole Seehausen und Dr. Oliver Selz. Sie haben erstmals die folgenden Felchen beschrieben:
- Coregonus intermundia, C. litoralis, C. muelleri und C. Suspensus (Vierwaldstättersee)
- C. sarnensis (Sarnensee)
- C. supersum und C. obliterus (Zugersee)
Das Felchen gehört zu den typischen Fischen der Alpenregion, es war lange ein wichtiger „Brotfisch“ für die lokale Fischerei. Dass es verschiedene Unterarten gibt, war schon lange bekannt. Einige dieser Arten lassen sich mit bloßem Auge voneinander unterscheiden – doch in manchen Fällen ist das nicht möglich.
Unterschiede zwischen den Arten sind „sehr subtil“
„Während einige Arten für Wissenschaftler, Fischer und Fischereibehörden leicht zu unterscheiden sind, ist es bei anderen schwieriger“, sagt Dr. Selz über die Entdeckung. Er ist wissenschaftlicher Berater der Schweizer Bundesregierung für Umweltfragen. Die Unterschiede zwischen den Felchen in Körperbau und Verhalten seien „sehr subtil“, sodass die Forscher sie nur durch einen Blick auf ihr Erbgut als eigene Arten klassifizieren konnten.
Die Enteckung zeigt, dass die Vielfalt in Schweizer Alpenseen größer ist, als man bisher angenommen hat. Und es endet nicht bei den Felchen. Laut Seehausen, Professor am Institut für Ökologie & Evolution (IEE) der Universität Bern, gibt es auch neue Arten in anderen Gruppen von Fischen: „Gründlinge, Elritzen, Stichlinge – völlig unterschiedliche Arten, die evolutionär viel älter sind [als die Coregonus]“, sagt er. „Taxonomen haben in Europa lange Zeit vergleichsweise wenig für Fische getan. Das könnte daran liegen, dass den Studierenden beigebracht wird, wie unwahrscheinlich es sei, in Europa neue Arten zu entdecken. Aber das ändert sich in den letzten Jahren.“
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Der Mensch ist die größte Bedrohung für Artenvielfalt
Kaum entdeckt, gibt es bereits Sorgen über die Zukunft der Felchenarten. Vor allem menschliche Einflüsse spielen dabei eine Rolle. So sind die Alpenseen in der Vergangenheit stark verschmutzt worden, was zu einem Rückgang der Arten geführt hat.
Noch immer haben einige der Seen überdurchschnittlich hohe Phosphorgehalte, da erst in den 1960er Jahren Abwasseranlagen mit Phosphorentfernung gebaut worden sind. Auch lassen sich immer noch Spuren von Waschpulvern finden, die bis 1986 verwendet wurden. Das größte Problem sind heute aber Abflüsse aus der Landwirtschaft.
„Wenn Seen eutroph werden und verschmutzt sind, wird der Sauerstoff in den tieferen Gewässern verbraucht“, erklärt Seehausen. „Die an tiefes Wasser angepassten Felchenarten sterben nicht sofort aus, sondern beginnen, sich mit anderen Arten in Gewässerbereichen zu vermischen, wo der Sauerstoff noch ausreichend ist. Verschmutzung und Eutrophierung haben die Aussterberaten in diesem System vorangetrieben.“
Sauerstoffreserven nehmen ab
Auch der Klimawandel ist eine Bedrohung für die Felchen. Die Seen kühlen sich in den milderen Wintern langsamer ab, was bedeutet, dass es weniger Durchmischung von Wasser zwischen den verschiedenen Tiefenschichten in den Seen gibt. Das führt dazu, dass sich die Sauerstoffreserven in den tieferen Bereichen nicht mehr jeden Winter erholen, wie sie es in der Vergangenheit getan haben.
Zuletzt besteht auch eine Bedrohung durch die invasive Quagga-Muschel. Laut Dr. Selz „kommen sie derzeit in einigen Seen in der Schweiz vor und werden höchstwahrscheinlich starke Veränderungen der Ökosysteme verursachen.“
Jedes Jahr werden neue Fischarten entdeckt
Die neu beschriebenen Felchen sind nicht die einzigen Fischarten, die im Jahr 2023 entdeckt wurden. Die Organisation SHOAL hat einen Bericht veröffentlicht, der alle Süßwasserfische aus dem letzten Jahr aufführt. Insgesamt sind es 243 neue Arten.
Ziel des Berichts ist es, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten und die Forschung sichtbar zu machen. „Ein Bewusstsein zu schaffen, trägt einen wichtigen Teil dazu bei, das Überleben dieser Arten zu sichern“, erklärte SHOAL-Direktor Mike Baltzer. „Die Reporte leisten wertvolle Hilfe dabei, Süßwasserfische zu schützen. Sie sind beim Artenschutz zu lange vernachlässigt worden.“
Schon in den letzten Jahren hat SHOAL die Arbeit von Forschern weltweit veröffentlicht. Zu den Entdeckungen gehören zum Beispiel ein Vampir-Wels, der zuerst 2022 entdeckt worden ist, oder ein blinder Aal aus dem Jahr 2021.
Der ganze Bericht (auf Englisch): www.shoalconservation.org