Bevor ich anfange: Ich habe mir eine Antwort auf diesen Thread extra fürs Wochenende aufgespart, da sie wohl etwas länger ausfallen wird. Nur verkneifen wollte ich mir das auf keinen Fall. Dann mal viel Spaß beim Lesen 
Zitat von reverend
Und trotzdem: wenn ich an meine Jugend zurückdenke, dann ist eine der wesentlichsten Erinnerungen die, dass wir Zeit hatten, Zeit wie nie danach.
Wie wahr. Ich bin zwar rund zehn Jahre später dran, aber da war es auch noch so - obwohl ich in der 8. Klasse zu den Glücklichen gehörte, die den beginnenden Siegeszug der Computer miterleben durften (damals mit dem guten alten C64)
Zitat von munich-taxler
wir hatten auch die besseren Lehrer!.......Heute findet man leider sehr selten solche Exemplare in den Lehrkörpern.
Ja - wir hatten die besseren Lehrer. Aber die hatten damals auch noch viel Zeit, eigentlich wie alle. Nicht nur die Schüler sind von der heutigen Schnellebigkeit betroffen. Die trifft auch die Lehrer und alle anderen Menschen. Unsere soziale Entwicklung konnte da einfach nicht Schritt halten: Einerseits werden wir durch mannigfaltige Unternehmungen zum Zwecke der finanziellen Bereicherung Tag für Tag mit viel mehr Betätigungsmöglichkeiten überschüttet, als man überhaupt in einen 24-Stunden-Tag pressen kann, selbst wenn man mit jeder Sache nur ein bißchen Zeit verbringt. Andererseits hat die Belastung in der Schule und vor allem im Beruf ein derart hohes Maß erreicht, daß einem kaum noch Zeit für ein Privatleben bleibt. Ich meine damit natürlich weniger einer Gewerkschaft angeschlossene Beschäftigte von Großunternehmen, für die alles noch einigermaßen erträglich ist, da sie entweder nur ihre vertragliche Arbeitszeit leisten oder anfallende Überstunden bezahlt bekommen. Aber all jene, die in einer kleineren Firma arbeiten, in der jeder Tag in der heutigen Zeit ein überaus harter Kampf ums Überleben ist, werden sicher wissen, wovon ich rede. Und nichts, überhaupt gar nichts wird unternommen, damit wir aus diesem entsetzlichen Zustand wieder herauskommen.
Zitat von andal
Wenn überhaupt irgendwem eine Schuld zuzuweisen ist, dann der Politik......Sie werden einfach von den wirtschaftlichen Bedingungen überfordert, oder haben einfach keine Chancen mehr.........Derweilen die Herrschaften in Berlin sehr schlaue Sprüche klopfen und sich die Taschen vollstopfen, dass es schon an Raub erinnert.
Was soll man dazu noch sagen? Dem gibt es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Wir leben in einem System, in dem einerseits Betrug und zweifelhafte Bereicherung zu Lasten anderer legalisiert sind und andererseits Dinge, die niemandem schaden, durch altmodische Moral- und Kontrollvorstellungen unter Strafe gestellt werden. Verrückt, aber Realität. Unsere tägliche Dosis Alptraum eben...
Zitat von Grotius
Es ist eine Frage des Selbstbewusstseins jedes einzelnen Schülers, wofür er sich entscheidet, ob für oder gegen Gruppenzwang, ob für oder gegen Leistungsbereitschaft. Und wie kommt es zu diesem Selbstbewusstsein? Das muss durch viele Faktoren gefördert werden, durch das Elternhaus, durch die Schule, durch Vereine, durch Cliquen usw. Und es ist eine Frage des Willens.
Ich frage mich, ob einem als Schüler eine solche Entscheidung überhaupt zugemutet werden kann. Ich war damals noch nicht damit konfrontiert, denn da war die Welt noch irgendwie in Ordnung. Die Arbeitslosenzahlen waren noch nicht so hoch, und für eine freie Stelle lagen nicht innerhalb kürzester Zeit 500 Bewerbungen auf dem Tisch. Man ging einfach zur Schule, lernte mehr oder weniger und war unbeschwert. Die besseren Schüler studierten oder arbeiteten später im Büro, die schlechteren wurden Handwerker oder Hilfsarbeiter. Aber man fühlte sich noch geborgen und hatte eine gewisse Zukunftssicherheit.
Heute ist alles nur noch auf den späteren Erfolg ausgerichtet, man hört die Schreckensmeldungen der Wirtschaft, kennt die Arbeitslosenzahlen. Man muß tausendfach besser als die Konkurrenz sein (in diesem Falle die Mitschüler), um später nicht auf der Strecke zu bleiben und eine reelle Chance auf einen Job zu haben. Eigentlich bleibt einem da ja nur eine Entscheidung übrig: Vollgas geben und sich schon in der Kindheit und Jugend 300 % abzuverlangen. Während einem das zunächst von den Eltern eingetrichtert wird, begreift man es irgendwann auch selber. Unsere Schüler haben dieses Problem ständig wie ein Damoklesschwert über sich schweben; es ist also kein Wunder, daß viele den Druck nicht mehr aushalten und es immer mehr psychische Krankheiten gibt. Das wiederum überträgt sich auch auf die Lehrer, und es wundert mich darum überhaupt nicht, daß man schon als relativ junger Mensch an den Symptomen des Burn-Out-Syndroms leidet. Ich bin zwar kein Lehrer, aber mir geht es da nicht anders. Vielleicht erinnert sich noch der ein oder andere: Irgendwo hab ich ja schon geschrieben, daß ich mit dem Angeln wieder angefangen habe, weil ich mit meinem Job nicht mehr klargekommen bin. Ohne diese Erholung wäre ich heute vermutlich Patient in einer psychiatrischen Klinik - oder arbeitslos (oder beides?).
Ich bin eigentlich ganz gerne in die Schule gegangen. Auch meinen Job mag ich sehr. Wenn da nur nicht dieser mörderische Leistungsdruck wäre, der mein Vorstellungsvermögen immer wieder bei weitem übersteigt. Und es wird mit Sicherheit nicht weniger, dafür aber mit Sicherheit mehr 
Zitat von peter_koelling
Mein Bruder will später mal Mathe und Physik unterrichten, muss aber nebenbei noch Pädagogik, Psychologie, ich glaub Philosophie und Didaktik studieren. Anstatt, dass man die Leute sich auf ihre Fächer spiezialisieren lässt, zwingt man die dazu, sich den Kopf mit nem Haufen Müll vollzustopfen, den sie später noch nicht mal gebrauchen können.
Noch nicht gewußt? Verbreitung geistigen Mülls im Studium und bei jeder anderen Art von Unterricht ist doch schon seit etlichen Jahren modern. Ich hab keine Ahnung, was man da einem Lehrer zumutet, aber ich kenne den Blödsinn, den man im wirtschaftlichen Bereich auf die Leute losläßt, aus einem Jahr reiner Schule und zwei kaufmännischen Ausbildungen zur genüge. Die moderne Marktwirtschaft hat uns da ganz tolle Instrumente und Einfälle mitgegeben; da wäre z.B. das Brainstorming, bei dem eine Gruppe von Leuten zu einem Thema allen möglichen Unsinn vom Stapel läßt, wie er gerade über die Lippen kommt, und einer schreibt es auf. Oder das moderne Zeitmanagement, welches sich mit der Frage beschäftigt, wie man in einen eh schon überfüllten, ungesund-stressigen Arbeitstag noch mehr und noch mehr hineinpacken kann, obwohl Millionen auf der Straße stehen, die den Arbeitenden gerne einen Teil ihres Stresses abnehmen würden. Oder die fanatische und zahlreiche Erstellung von peinlichen Schaubildern nach diversen Methoden, bei denen oft in der Mitte eingekreist Worte wie Erfolg, Umsatzsteigerung oder Neue Kunden stehen. Und dabei kenne ich nur einen Teil dieser bekloppten Dinge, weil es in der Schule und Ausbildung nicht so weit geht wie in einem entsprechenden Studium.
Das ist eine typisch marktwirtschaftliche Art, sich der Dinge anzunehmen. Die Lösung aller Probleme ist halt am einfachsten, wenn man sich nur darauf beschränkt, immer und immer wieder die Symptome zu bekämpfen, selbst wenn die dazu erforderlichen Mittel immer verrückter werden. Der Vorhang vor den Augen fällt eben direkt nach der Nasenspitze. Egoismus ist Trumpf, und andere zahlen die Zeche.
In vielen Beiträgen, die ich hier zu diesem Thema gelesen habe, wurden praxisnahe Verbesserungsvorschläge erwähnt, wie z.B. eine bessere Auslese der Lehrer oder andere Studieninhalte. Auch das ist nur Symptombekämpfung, da sich durch noch so viele gutgemeinte Ratschläge nichts, rein gar nichts dauerhaft verändern wird. Wir wären reif, in einer Welt zu leben, die allen Menschen unter besten Bedingungen Ernährung, Freizeitaktivitäten, Sicherheit und ein rundum glückliches Leben bietet. Stattdessen herrscht jedoch der absolute Streß: In der einen Hälfte der Erde hasten die Menschen unter irren Bedingungen den Dollars, Euros und Yens hinterher, während sich auf der anderen Hälfte fast das gleiche abspielt - nur geht es da nicht um Geld, sondern um Nahrung, Trinkwasser und medizinische Versorgung - was natürlich wiederum vom Geld und dem Verhalten der 'reichen' Erdbevölkerung abhängt. Die Lehrer und ihre wundersame Veränderung im Laufe der Zeit sind nur winzige Rädchen in diesem kaputten Getriebe.